István Kardos und die Five Songs

Ende 1929 übernahm Kardos in Berlin die musikalische Leitung des bekannten Abel-Quartetts. Die Abels (ab 1930: „Five Songs“) nahmen zwischen 1928 und 1933 weit über hundert Schallplatten auf und waren im deutschen Sprachraum die Pioniere des Jazz-Vokalgesangs im Stil der amerikanischen Revelers. Obwohl die Gruppe nur aus ungarischen Sängern bestand, wurde sie in der Presse gern als „deutsche Jazz-Sänger“ oder auch „die deutschen Revellers“ beworben.

Die Abels wurden keineswegs in dem Versuch gegründet den Erfolg der Comedian Harmonists zu kopieren, sie entstanden vielmehr ungefähr gleichzeitig und veröffentlichen ihre ersten Aufnahmen sogar noch vor den großen Konkurrenten: Mit „Ich steh mit Ruth gut“ für das Label Odeon vom Juni 1928 lieferten sie die erste Platte in diesem Stil für den deutschen Markt – einige Wochen vor der ersten Veröffentlichung der Comedian Harmonists. Schon am 29. August 1928 berichtet die Zeitung Ujság in ihrer ungarischen Heimat stolz über den Erfolg der „4 Abels“ in Deutschland: sie haben ein Engagement am Deutschen Theater in München und einen Plattenvertrag.

Werbung in der Vossischen Zeitung am 29.9.1929. Quelle Staatsbibliothek Berlin
„Negy Abels“ – Die vier Abels. Die ungarische Zeitung Újság berichtet am 29. August 1928 über den Erfolg der „deutschen Revellers“ aus Ungarn.


Die Abels bestanden aus ihrem Gründer, Pianisten und Arrangeur Pál Abel, dem ersten Tenor Jenő Vigh, József Balassa als zweitem Tenor, Rezső Feleki, dem Bariton, und Imre Révész, dem Bass.

Die Abels: hinten Jenő Vigh und Rezső Feleki, vorn Imre Révész, Pál Ábel und József Balassa

Vigh, geboren am 19. Juli 1894, arbeitete als Journalist und schrieb Gedichte, bevor er Anfang der zwanziger Jahre eine Gesangsausbildung als lyrischer Tenor machte und im Dezember 1922 als Sänger bei einem Kirchenkonzert in Szeged debütierte. Nach Gesangsstudien in Berlin wurde er 1925 als lyrischer Tenor am Stadttheater Aachen engagiert, wo er unter dem Namen Eugen Wigh auftrat.

Balassa stammte ebenfalls aus Szeged, und gehörte, ebenso wie Vigh, dort als Violinist dem Philharmonischen Orchester an. Anfang der zwanziger Jahre war er zunächst am Stadttheater in Szeged als Tenor engagiert, später am Buda-Miskolc-Theater. Dort sang er im September 1923 mit großem Erfolg die Rolle des Manrico in Verdis Troubadour. 1924 ging er nach Deutschland um sich als Heldentenor ausbilden zu lassen denn seine besondere Liebe galt Wagner-Opern. Nach einem Engagement am oberschlesischen „Drei-Städte-Theater“ war er in der Saison 1925/26 am Stadttheater in Teplitz-Schönau (dem heutigen Teplice in Tschechien) engagiert.

Feleki, geboren am 26. Dezember 1900, hatte 1923 seinen Abschluss an der Musikhochschule in Budapest gemacht und danach an Opernhäusern in Bratislava, Beuthen und Gleiwitz Rollen als lyrischer Bariton gesungen. 1929 heiratete er in Berlin die wie er aus Budapest stammende Margit Fischer.

Révész, Jahrgang 1888, war der Sohn eines Berliner Kantors und arbeitete vor seiner Zeit bei den Abels ebenfalls an verschiedenen Opernhäusern in Deutschland. Pál Ábel, im Jahr 1901 geboren, hatte wie Feleki im Jahr 1923 die Musikhochschule abgeschlossen. Wie die anderen war er jüdischer Abstammung und der Bruder des Schauspielers Frederic O’Brady (eigentlich Frigyes Ábel), der in seinen 1964 veröffentlichten Memoiren einiges über das Leben seines Bruders zu erzählen weiß.

Schon Ende 1929 trennte sich Ábel von seinem Quartett, weil er – nicht ganz ungerechtfertigterweise – der Meinung war, ihm stünde als geschäftlichem und musikalischem Leiter ein größerer Anteil an den Gagen zu. Sein Bruder schreibt in seiner Autobiografie:

„Then his singers revolted, because he thought he ought to get paid more than they, as their arranger and pianist. It was a quartet, but they were five, counting him. My brother did not yield; the team broke up and he went to Milan, on spec, rather than accept one of five equal parts.“

Zu diesem Zeitpunkt übernahm István Kardos die musikalische Leitung der Gruppe. Kardos schreibt in einer Eidestattlichen Erklärung für das Entschädigungsamt in Berlin:

„Ab September 1929 bis Mai 1932 war ich musikalischer Leiter des Gesangsquartetts ‚Five Songs‘ / Abels-Sänger, nachher vom Juni 1932 bis November 1935, d.h. bis ich Deutschland verliess, war ich als musikalischer und geschäftlicher Leiter des von mir gegründeten Gesangsquartetts ‚DIE KARDOSCH-SÄNGER‘ tätig…“ .

Im Februar 1930 kam es in Berlin sogar zu einem Rechtsstreit über den Namen der Gruppe zwischen Pál Ábel und seinen ehemaligen Sängern, die zunächst trotz seines Ausscheidens an dem bekannten Namen „Abel-Quartett“ festhalten wollten. Damit war der Namensgeber natürlich nicht einverstanden, zumal er ab Anfang Februar 1930 mit seinem neuen Quartett, das er ebenfalls „Die Abels“ nannte, Engagements in Wien hatte: zunächst im Kabarett Simplicissimus und danach für mehrere Monate am Theater an der Wien, wo sie an über 130 Aufführungen von Bruno Granichstaedtens Jazz-Operette „Reklame“ mitwirkten.

Werbeanzeige vom Februar 1930

Die Situation führte zu kuriosen Momenten, wenn etwa Wiener Plattengeschäfte mit den in Wien gastierenden „neuen“ Abels für Platten der Berliner-Original-Abels warben.


Der Deutschen Allgemeinen Zeitung war der Streit um den Namen „Die Abels“ unter der Überschrift „Disharmonische Harmonien“ einen zwei-spaltigen Kommentar wert:

Deutsche Allgemeine Zeitung, 19.1.1930

Disharmonische Harmonien
Nein, disharmonische Harmonien sind gar nicht ein solches Paradoxon, wie es zuerst scheinen will. Es geht hier nämlich um einen grimmen Streit, der zwischen zwei Sängertruppen ausgebrochen ist, und die Ueberschrift wird daher angebracht erscheinen. Die mittelbare Schuld trifft das amerikanische Jazzquintett der Revellers. Der Ruhm dieser Revellers hatte fünf deutsche Jünglinge (sic!) nicht schlafen lassen. Was die Amerikaner können, das können wir schon lange, dachten sie und gründeten flugs ein deutsches Jazz-quintett. Einige Schwierigkeit bereitete zunächst der Name. Er sollte auffällig, einprägsam und dennoch einfach sein. Da war es nun ein Glück, daß der Pianist unter diesen fünf den Namen Abel trug. Den kannte jeder, und den konnte auch jeder leicht behalten. Also nannte man sich kurz, schlicht und einfach „Die Abels“. Unter dieser Bezeichnung wurden sie bald populär; persönliches Auftreten, das Radio und die Schallplatte sorgten dafür, daß wir alle sie recht bald kennen lernten und zu schätzen wußten. Sie können wirklich etwas, diese Fünf, und es macht Vergnügen, ihnen zuzuhören.

Das heißt: jetzt sind es nur noch vier. Oder auch zehn. Man weiß das nämlich noch nicht ganz genau, so lange nicht die Gerichte ein Machtwort gesprochen haben. Denn inzwischen ist eine Kleinigkeit geschehen. Die Fünf bekamen Krach untereinander, und der Pianist, von dessen Namen die Truppe ihre Bezeichnung ableitet, trennte sich von ihnen. Natürlich blieb er nicht etwa untätig, sondern suchte sich andere vier Sänger, mit denen er wiederum ein Jazzquintett unter seinem Namen gründete. Die „alten“ Abels haben aber ihren Namen auch nicht aufgegeben, sondern einen neuen Pianisten hinzugenommen, mit dem sie weiterhin unter der Bezeichnung „Die Abels“ auftreten. So besteht nunmehr der groteske Zustand, daß es in Deutschland zweimal das Jazzquintett „Die Abels“ gibt. Der Pianist Abel behauptet, daß selbstverständlich nur seine Truppe diesen Namen führen darf, der schließlich und endlich sein standesamtlich eingetragener Familienname sei. Die „alten“ Abels jedoch meinen, daß dieser Name als Bezeichnung für ein Quintett heute ein Begriff geworden sei, bei dem es gleichgültig ist, auf welche Weise er zustande gekommen ist. Und „Die Abels“ — das seien eben sie! Denn das Entscheidende bei einer Sängertruppe sei nicht der Pianist, sondern natürlich die Sänger. Vielleicht darf man einen Vorschlag zur Güte machen, ja? Wie wäre es, wenn beide Quintette einen gemeinsamen Konzertabend veranstalten würden? Dann soll das Publikum abstimmen, welchem der beiden der Name „Die Abels“, der heute ein Kennzeichen für hochstehende Qualitätsmarke bedeutet, zustehen soll. Auf diese Weise würde die Unterscheidung zwischen alten und neuen Abels fortfallen zugunsten der besseren Abels!“

Über den Ausgang der Verhandlung, die für den 20. Februar angesetzt war, ließen sich bisher noch keine Informationen finden. In jedem Fall benutzte Pál Ábel den Namen „Abels“ weiterhin für sein neues Quartett, während die alten Abels unter István Kardos zu den Five Songs wurden.

Die Namensgebung und Veröffentlichungen der beiden Gruppen sorgen bis auf den heutigen Tag für Verwirrung: Bis Mai 1930 tauchen die Five Songs als „Abels“ auf dem Label Grammophon auf, während sie bei anderen Labels als „Five Songs“ erscheinen, so zum Beispiel ab Januar 1930 bei Artiphon. In der Werbung werden sie als die „echten“ Abels angepriesen, worauf sich ein Rezensent der Wiener Zeitung Freiheit zu der Bemerkung veranlasst sieht: „wenn das die ‚echten‘ Abels sind, dann gefallen mir die Imitatoren besser“ , was zeigt, welch großen Eindruck auch die „neuen“ Abels bei ihren Engagements in Wien hinterließen. Pál Ábel trat mit seinem neuen Ensemble bis Februar 1931 als „Professor Abel und seine Jazz-Sänger“ im Radio und auf Schallplatten auf, dann verließ er auch diese Gruppe, um für die Firma Durium zu arbeiten. Die Leitung seiner „neuen Abels“ übernahm Rudolf Goehr, mit dem sie in der Folge als „Melody Gents“ oder, in ihren Aufnahmen für das Label Kristall ab Mai 1931, weiterhin als „Die Abels“ auftraten. Ab Mai 1932 jedoch sind auf Kristall wieder die Original Abels (also die Five Songs) unter diesem Namen zu hören. Die Kontinuität liegt in der Person von Rudolf Goehr, der zu diesem Zeitpunkt von den Melody Gents/Abels zu den Five Songs/Abels gewechselt war. Noch Fragen?


Am 13. Juli 1930 berichtet die Szegeder Zeitung Délmagyarország mit großem Stolz über die Five Songs, die „deutschen Revellers“ – die eigentlich Ungarn seien, zwei davon aus Szeged, nämlich Balassa und Vigh. Der Autor schreibt über ihre Trennung von Pál Ábel und fährt fort:

„Seitdem touren sie als die 5 Songs über die deutschen Bühnen und ziehen nun nach London. Die 5 Songs sind heute das bekannteste deutsche moderne Sängerquintett, nur zu Hause wissen wir, dass alle 5 Songs Ungarn und zwei aus Szeged sind: József Balassa und Jenő Vigh. Im Winter tourten sie durch Berlin und Hamburg, Dresden, Leipzig, Köln, Hannover, Karlsbad, am Rhein – sie sangen im Berliner Radio, traten in einer großen Anzahl deutscher Theater auf und machten große Verträge mit Berliner Grammophonstudios […] jetzt sind sie im Urlaub ein bisschen nach Hause gekommen […] Aber der Urlaub dauert nicht lange, denn am 23. müssen sie schon im Berliner Radio singen und im September segeln die 5 Songs nach London: die ungarische Mannschaft der deutschen Revellers ist über die deutschen Grenzen hinausgewachsen.“

Im Winter 1930/31 sind die Five Songs am Berliner Wintergarten engagiert. Der Vorwärts schreibt am 10. Januar 1931 über sie:

„Die fünf Abels kommen als Fünf Songs wieder und die Art, wie sie aus bereits heillos zersungenen Schlagern das Schönste und Wertvollste herausholen, so dass sie in neuem anderen Glanz uns anstrahlen, ist Beweis für ihre große Musikalität, wenn sie sich auch noch so bizarr gibt.“

Hinten: Vigh und Kardos, vorne Révész, Balassa und Feleki. Herzlichen Dank an Josef Westner für das Foto.

1932 waren die Five Songs an dem Film „Es war einmal ein Walzer“ beteiligt, hochkarätig besetzt unter anderem mit Martha Eggerth, Ida Wüst, Paul Hörbiger und Ernst Verebes. Sie singen den Titel „Wo steckst du Mädel mit dem süßen Profil“. Die Musik stammte von Franz Lehár, das Drehbuch von Billy Wilder, und neben den Five Songs war auch der bekannte Tenor Marcel Wittrisch beteiligt. Die Dreharbeiten fanden im Februar und März 1932 statt, Premiere war am 15. April 1932 im Primus-Palast in Berlin.

Im Mai 1932 gründete István Kardos die Kardosch-Sänger und verließ die Five Songs.


Zu den bemerkenswertesten Aufnahmen der Five Songs aus der Zeit mit István Kardos gehören zum Beispiel „Mein Herz ist ein Salon für schöne Frau’n“, „Mein Herr, ich hab‘ Sie schon gekannt…“, „Flüstern in der Nacht“, „Schmetterlingshochzeit“ oder „Mach dein Fenster auf“.

Wie es mit den Five Songs weiterging, lässt sich hier nachlesen.


Quellen:

Ein großer Dank geht an Josef Westner für seine tatkräftige Unterstützung beim Versuch, das Wirrwarr um die neuen und alten Abels, die Five Songs und die Melody Gents zu entknoten.

  • O’Brady, Frederic: All Told. Simon and Schuster, New York, 1964.
  • Schneidereit, Wolfgang: Discographie der Gesangsinterpreten der leichten Muse von 1925 bis 1945 im deutschsprachigen Raum. Eine Discographie mit biographischen Angaben in 3 Bänden, Books on Demand, Norderstedt, 2019, Band 1 und 2.
  • Westner, Josef: Die Abels. Ein deutsch-ungarisches Pionierensemble.
  • Westner, Josef: Was hältst Du von Veronika? Von den Abels zu den Kardosch-Sängern. Der Schalltrichter, Ausgabe 33 (2008).
  • Entschädigungsakte István Kardos im Archiv der Entschädigungsbehörde des Landes Berlin, Aktenzeichen 306.359: Eidesstattliche Erklärung von István Kardos vom 3. Juli 1956.
  • Kármán, György: A DALÉNEKLÉS ÉS A CHÁZÁNUT MŰVÉSZE. Feleki Rezső főkántor emlékére (In Gedenken an Rezső Feleki, Oberkantor). Abzurufen auf https://www.or-zse.hu/resp/karman.htm.
  • Vigh Jenő: Eintrag im Magyar Életrajzi Lexikon 1000-1990: https://mek.oszk.hu/00300/00355/html/ABC16241/16786.htm.
  • Filmportal.de: Es war einmal ein Walzer.