József Balassa wurde am 4. Februar 1893 in Szeged (Ungarn) als ältester Sohn des angesehenen Rechtsanwalts Dr. Ármin Balassa und seiner Frau Franziska geboren. In seinem Elternhaus herrschte eine von der Liebe zu Musik, Literatur und Theater geprägte Atmosphäre, und neben ungarisch wurde auch deutsch gesprochen. Als junger Mann spielte József Balassa Geige, und gehörte ebenso wie Jenő Vigh dem Szegeder Philharmonischen Orchester an. Im Ersten Weltkrieg war er als Leutnant im besetzten Serbien stationiert. Wohl auf väterlichen Druck hatte er nach dem Abitur ein Jurastudium begonnen, das er aber vermutlich nicht abschloss. Stattdessen arbeitete er ab ungefähr 1915 in der Tageszeitung mit, die sein Vater ab 1902 herausgab („Szeged és Vidéke“). Wie sein Freund und Kollege Jenő Vigh anlässlich seines Debüts am Szegeder Theater im Herbst 1922 schreibt:

„So kam es, dass Jóska nach seinem Abschluss Jura studierte, aber sein angeborenes Talent zog ihn in die Welt der Bohème. Der gute Doktor Ármin Balassa war bald davon überzeugt, dass sein Sohn ein ‚Taugenichts‘ werden würde und nahm ihn als journalistischen Mitarbeiter auf.“

Während des Krieges trat József als Sänger bei Unterhaltungsveranstaltungen auf, was ihn möglicherweise in seinem Entschluss bestärkte, nach dem Krieg im Alter von immerhin schon 27 Jahren in Budapest Gesang zu studieren. Auch eine poetische Ader besaß der älteste Balassa-Sohn: aus dem besetzten Serbien schickte er wehmütige Gedichte. Sein Debüt als Sänger feierte er 1920 in seiner Heimatstadt Szeged, wo er im Februar in einem biblischen Oratorium des Szegeder Komponisten Mátyás Csányi sang. Seine Rolle war die des Königs Salomon in Csányis Vertonung des hohen Liedes.

Wenige Tage später kommt es zu einem folgenreichen Verbrechen: József und zwei seiner Freunde werden im Zuge des nach-revolutionären „Weißen Terrors“ nach einem Abendessen im Hotel Britannia in Budapest von einer Militärpatrouille entführt und in einer Kaserne gefangen gehalten. Einer der drei, der junge Ingenieur István Müller, stirbt an den Folgen der während seiner Gefangenschaft erlittenen Folter. Auch József wird misshandelt und nach drei Tagen in ein ziviles Gefängnis überstellt. Das Protokoll seiner Aufnahme ist hier einzusehen: HU BFL – VII.102.a – fogoly – 1920 – 1419 | Archival Documents | Hungaricana.

Eine ausführliche Darstellung des Vorfalls, seiner Hintergründe und seiner Folgen gibt es hier nachzulesen: József Balassa. Ein Sänger aus Szeged (S.13 ff)

Nach ungefähr einer Woche wird József freigelassen – er war das zufällige Opfer einer persönlichen Vendetta gegen seinen Freund Müller und passte als Journalist und Jude in das Feindbild der Konterrevolutionäre. Die unmittelbaren Folgen des Vorfalls sind ein Prozess (wenn auch nicht gegen die Entführer und Mörder, die straffrei ausgingen), und das Ende der Tageszeitung seines Vaters, der sein Lebenswerk desillusioniert aufgab. Der ungarische Autor Tibor Weiner Sennyey thematisierte 2018 die Geschehnisse in seiner Erzählung „Magyar Gólem“. Das relevante Kapitel lässt sich hier nachlesen: Magyar Gólem 2. rész – Új Kelet online.

Jenő Vigh in Szegedi Hiradó am 8. Oktober 1922 vor Balassas Opern-Debüt.

In den nächsten zwei Jahren nimmt József Gesangsunterricht und wird für die Saison 1922/23 schließlich am Theater in Szeged engagiert, wo er im Oktober 1922 als Canio in „Der Bajazzo“ debütiert. Vor der Aufführung veröffentlicht Jenő Vigh einen langen Artikel über seinen Freund (Übersetzung hier: Balassa József. Ein Sänger aus Szeged, S. 28/29).

Wagner-Abend am 23. Januar 1923

Außerdem trat er in dieser Saison in den Hauptrollen in „La Bohème“ und in der Ferenc-Erkel Oper „László Hunyadi“ auf, und gab mit der später sehr bekannten Opernsängerin Kató Gödri im Januar einen Wagner-Abend. Es folgte ein Engagement am Buda-Miskolc-Theater, das aber schon nach einer halben Saison endete – möglicherweise, weil sein Vater in Szeged im Sterben lag. Dr. Balassa starb im Januar 1924 nach langer Krankheit.

Das Theater in Szeged

Die Saison 1924/25 verbrachte József am „Drei-Städte-Theater“ zu dem sich die oberschlesischen Theater von Gleiwitz, Beuthen und Hindenburg zusammengeschlossen hatten. Er sang dort am 26. September 1924 den Florestan in Beethovens „Fidelio“ – zugleich die erste Vorstellung des Drei-Städte-Theaters, das sehr erfolgreich bis 1944 Bestand haben sollte. In Gleiwitz lebte er in der Wilhelmstraße 34a. Anschließend gab es ein Engagement am Theater in Teplitz-Schönau, wo sich sein Traum, Wagner-Rollen auf der Bühne zu singen, endlich erfüllt: er singt bis Juli 1926 die Hauptrollen in „Lohengrin“ und im „Fliegenden Holländer“, außerdem in der Smetana-Oper „Die verkaufte Braut“. In einem Interview im August 1925, zwischen den Engagements für das Drei-Städte-Theater und in Teplitz, erzählt er einer Szegeder Zeitung, er sei wegen seiner Begeisterung für Wagner nach Deutschland gegangen – denn in Ungarn gebe es keine Aussicht für ihn, Wagner-Rollen zu singen. Er spricht auch mit großer Begeisterung über das nach einem Brand neu erbaute Theater in Teplitz. Er lebte dort in der Langen Straße Nr. 9.

Das neue Stadttheater in Teplitz-Schönau

Zur Geschichte dieses Hauses gibt es eine interessante französische Webseite mit Künstlerbiografien, Fotos und vielem mehr. Auch József Balassa ist dort vertreten: Balassa Jozsef – Le théâtre de Teplitz (Teplice) (teplitz-theatre.net).

1926 kehrt József allerdings zurück nach Szeged und singt im September in „Mignon“, und im Januar 1927 in „Die verkaufte Braut“.

Ein Foto aus dem Jahr 1927. Balassa (zweiter von links) mit dem Ensemble der Oper „Mignon“, die im Winter 1926/27 am Theater in seiner Heimatstadt Szeged aufgeführt wurde.

Ab 1928 gehörte er als Tenor den Abels an – möglicherweise kam er über Jenő Vigh zu der Gruppe. Vigh war wie Feleki (und Révész) an deutschen Bühnen engagiert, Feleki wiederum dürfte den gleichaltrigen Pál Ábel noch aus Budapest und von der Musikhochschule gekannt haben. Szegeder Tageszeitungen berichten immer wieder stolz über den Erfolg der beiden Lokalmatadore Vigh und Balassa mit ihrem Quartett in Berlin.

Dort wohnt Balassa mit seiner Lebensgefährtin Ilona Flora Julianna de Nemethy (geb. Wachtel) in der Georg-Wilhelm-Straße 18/19. 1930 bekommen die beiden eine Tochter, am 22. April 1933, kurz nach den letzten anonymen Aufnahmen der Abels in Berlin, wird geheiratet. Am 21. Mai meldet die Szegeder Zeitung „Délmagyarország“, der angesehene und bekannte Tenor József Balassa sei nachhause zurückgekehrt weil man nicht als Ungar in einem Jazzquartett in Hitlerdeutschland singen könne – seine jüdische Herkunft bleibt unerwähnt, denn auch Ungarn war nicht frei von Anti-Semitismus. Am 27. November 1933 gibt er in Szeged einen Lieder- und Arienabend mit der bekannten Sängerin Gabriella Relle.

Gesangspartnerinnen:

Von 1934 an bildete Balassa zusammen mit seinen früheren Abel-Kollegen Vigh und Révész unter Leitung des jungen Pianisten und Arrangeurs György Gerő die Triumph Együttes. Das Quartett nahm nun wieder Schallplatten auf und trat regelmäßig im ungarischen Rundfunk auf, bis die anti-jüdischen Gesetze im Ungarn der späten 1930er Jahre die Karriere der Gruppe beendeten. Über Balassas Leben nach 1933 ist leider bisher nur wenig bekannt – 1942 wird seine Ehe geschieden, und man kann davon ausgehen, dass er ab spätestens 1940/41 seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte (die letzte anonyme Schallplattenaufnahme der Triumph Együttes findet 1941 statt). Nach der deutschen Besetzung Ungarns im März 1944 werden seine jüngeren Brüder István und Jenő ebenso wie seine verwitwete Mutter aus Szeged deportiert und überleben nicht – Jenő Balassa stirbt im Mai 1945 nach der Befreiung des Arbeitslagers Gunskirchen durch die amerikanischen Streitkräfte auf dem Transport in ein Krankenhaus. István Balassas Tochter Judit überlebte das Vernichtungslager Auschwitz als eines der wenigen Familienmitglieder. Sie war mit Dr. Károly Tauber (später: Timár) verheiratet und bekam drei Kinder, die möglicherweise Aufschluss über das Schicksal ihres Onkels geben könnten; leider ist es mir bisher noch nicht gelungen, sie zu finden. Ob József Balassa deportiert wurde, Zwangsarbeit leisten musste, oder ob es ihm gelang, sich in Budapest versteckt zu halten, ist bisher ebenso unbekannt wie das Schicksal oder der Name seiner in Berlin geborenen Tochter (das zuständige Standesamt gab keine Auskunft). Das Wissen um die Deportation und wahrscheinliche Ermordung seiner Familie aus Szeged und die körperlichen und psychischen Belastungen durch Zwangsarbeit oder Leben im Untergrund dürften zu seinem frühen Tod mit nur 52 Jahren beigetragen haben.

József Balassa starb am 12. März 1945 in Budapest, laut Totenschein an Kardiomyopathie. Sein Grab befindet sich auf dem jüdischen Friedhof an der Kozma utca in Budapest.


Quellen:

BALASSA ARMIN (sulinet.hu)

Sándor János: A szegedi színjátszás krónikája. A kőszínház és társulatainak története (1883-1944)

Balassa József. Ein Sänger aus Szeged

Ein großer Dank geht an Jens-Uwe Völmecke und Lars Gorklo für wichtige Hinweise, sowie an Paul Lowy (https://teplitz-theatre.net/) und Dóra Pataricza für ihre Unterstützung.